Warum Gentechnik für die Schule (und für die Öffentlichkeit) wichtig, aber nicht immer so einfach ist.

Würden Sie Lebensmittel mit Gentechnik essen?
Nein! Auf keinen Fall!
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lehnt Gentechnik ab.

Wissen Sie, was CRISPR-Cas ist?
Na klar! Das hat was mit geklonten Kühen und Glyphosat zu tun!
Eine noch größere Mehrheit der Menschen in Deutschland hat keine oder falsche Vorstellungen von Gentechnik.

Dieser Dialog ist fiktiv – aber nicht ganz fiktiv. Ähnliche Antworten gab es tatsächlich im Gespräch mit Supermarktkunden!

Um etwas gegen die Unwissenheit zu tun, hatten wir vor einiger Zeit ein Experiment entwickelt, das jeder durchführen und so verstehen kann, wie CRISPR-Cas funktioniert. Gleichzeitig sieht man, leichter als in einem Artikel oder Video, welches Potenzial die Methode hat – und wo es noch offene Fragen und Probleme gibt!

Jeder kann das tun?
In Deutschland leider nicht!
Während man in USA und anderen Ländern unser Experimentierkit nicht nur für die Schule, sondern auch privat kaufen kann, muss der Versuch hier unter Aufsicht eines zertifizierten Projektleiters in einem behördlich genehmigten und überwachtenSicherheitslabor der Stufe 1 (S1) durchgeführt werden.

Warum ist das so?
Im Gentechnikgesetz (aus dem Jahr 2001!) steht, dass Experimente der Sicherheitsstufe 1 keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen.
Deshalb Sicherheitslabor? Deshalb zertifizierter Projektleiter? Deshalb Überwachung?
Nein, das muss man nicht verstehen und richtig erklären kann man das auch nicht.
Es ist einfach so.

Was ist ein S1-Sicherheitslabor?

Sicherheitslabore der Stufe 1 müssen keine besonders hohen Ansprüche erfüllen: der Bodenbelag muss wasserdicht und an den Wänden hochgezogen sein, alle Wände und das Mobiliar müssen abwaschbar sein. Stühle, Tische und Schränke mit Holzoberfläche sind nicht erlaubt, natürlich auch keine Teppiche, Kissen oder Tapeten. Den Raum muss man abschließen können, damit er nicht von Unbefugten betreten werden kann. Es muss ein Waschbecken mit Waschstation (Desinfektionsmittel, Seife, Handcreme) vorhanden sein und ein Hygieneplan vorgelegt werden. Für jedes Gerät muss eine laminierte Betriebsanweisung an der Wand hängen. Im selben Gebäude muss es einen Autoklaven zur Sterilisation geben. Wenn man es genau betrachtet (und das tun die Sicherheitsbehörden!), kann das alles schon ziemlich teuer werden!
Die Projektleiter müssen ihre Fachkompetenz in einem Kurs (mit Prüfung) nachweisen. Das kostet zwischen 350 und 1.000 Euro und muss alle paar Jahre erneuert werden.
Dann braucht man einen externen BBS (Beauftragter für biologische Sicherheit), der mindestens die gleiche Qualifikation hat. Er muss jährlich einen Bericht für die Behörde schreiben und die Aufzeichnungen überprüfen.
Dass alle Experimente ordentlich protokolliert werden müssen, ist in einem Labor selbstverständlich. Die akribische Aufzeichnung über jedes Röhrchen mit biologischem Material vom genauen Aufbewahrungsort (Kühlschrank 3, zweite Etage, Karton 7, Position 15) bis zur fachgerechten Entsorgung in einem vom TÜV regelmäßig überprüften Autoklaven ist schon etwas aufwändiger. Je nach Gegebenheiten liegen die Kosten für die Herrichtung eines Labor- und Vorbereitungsraums nach S1 Standards mindestens bei 10.000€, meist höher. Hinzu kommt die Geräteausstattung, die mit weiteren 10.000 bis 20.000€ zu veranschlagen ist.

Teile einer Laborausstattung (Bild: Science Bridge)

Jeder der das Labor betritt, muss offiziell belehrt werden und dies durch Unterschrift bestätigen.
Die zuständigen Behörden können jederzeit unangemeldet das Labor begehen, die Aufzeichnungen einsehen und durch Probennahme die biologischen Materialien überprüfen. In der Regel tun sie das einmal im Jahr und meistens melden sie sich auch vorher an.

Ein Labor muss sauber sein. Alle Chemikalien müssen ordentlich beschriftet sein. Alle mechanischen und elektrischen Geräten müssen funktionstüchtig und sicher sein. Auch das ist selbstverständlich.
Das gilt auch im Haushalt – aber wird das regelmäßig behördlich überprüft?

Größere und kleinere Haushaltsunfälle sind nicht selten (Bild: BioWissKomm by Midjourney)

Aber Gentechnik ist doch gefährlich?

In molekularbiologischen Schulversuchen wird (fast) ausschließlich der Bakterienstamm E. coli K12 verwendet. Das ist ein nicht pathogener Sicherheitsstamm, der so viele (genau kartierte) Mutationen enthält, die ein Überleben in „freier Wildbahn“ nahezu ausschließen.

Aus Stellungnahme der ZKBS vom April 2021.

Das ist im Haushalt nicht immer so. Schimmel bildet Sporen, deren Verbreitung nicht kontrollierbar ist. Verdorbene oder auch frisch gekaufte Lebensmittel enthalten nicht selten Salmonellen, Lysterien, Campylobacter oder pathogene E. coli Bakterien. Lebensmittelwarnungen und Rückrufe wegen Kontamination mit krankheitserregenden Keimen sind fast an der Tagesordnung. Nicht selten erkranken daran Menschen oder versterben sogar.
Im Gegensatz dazu ist mir kein biologischer Unfall in einem deutschen Gentechniklabor der Sicherheitsstufe 1 bekannt – und ich blicke auf 40 Jahre Erfahrung mit gentechnischen Arbeiten zurück.

Könnte es vielleicht sein, dass man da übermäßig vorsichtig ist?
Die Sicherheitsvorkehrungen schaffen Respekt und verunsichern Laien, die ein Labor besuchen. Bei einem solchen Aufwand muss das ja gefährlich sein! 
Ein gutes Beispiel ist der Bundestagsabgeordnete Harald Ebner (B90/Grüne), der bei einer Podiumsdiskussion über die unermesslichen Risiken von CRISPR-Cas dozierte und es für unverantwortlich hielt, ein solches Experiment mit Laien durchzuführen. Ich habe ihm angeboten, in einem zugelassenen Sicherheitslabor ein zugelassenes CRISPR-Cas Experiment unter Betreuung von zertifizierten Experten durchzuführen. So könne er sich einen Eindruck von der Laborpraxis und den Sicherheitsvorkehrungen machen. Er hat abgelehnt. Ob aus Angst, Unwissen oder welchen Gründen auch immer – ich weiss es nicht. Erfreulicherweise haben einige seiner Abgeordneten-Kollegen das Angebot angenommen.

Angst aus Unwissenheit ist gewiss ein Grund für die Ablehnung von Gentechnik in weiten Teilen der Bevölkerung. Wenn diese Angst durch horrende Sicherheitsmaßnahmen weiter geschürt wird, ist es sehr schwer, die Unwissenheit zu bekämpfen.

Eine gentechnisch veränderte Killertomate greift ein Kind an!
Solche Darstellungen sind nicht selten. Sie haben keinen Informationswert, aber sie schüren Ängste. (Bild: BioWissKomm via Midjourney)

An Schulen ist das meist einfacherl: junge Menschen sind neugierig, offener und wollen Dinge erforschen. Eine strikte Ablehnung haben wir bei hunderten von Schulexperimenten nur selten erlebt.

Aber an Schulen gibt es andere Probleme

In den allermeisten Fällen gibt es kein Sicherheitslabor für solche Experimente. Die Alternative ist der Besuch in einem Schülerlabor. Das ist relativ aufwändig und teuer, besonders dann, wenn man eine Klasse vom Dorf oder der Kleinstadt in die nächste Großstadt karren muss, wo es vielleicht ein professionelles Schülerlabor gibt.
Die wenigen Schulen, die private Sponsoren oder gar staatliche Fördermittel für ein Sicherheitslabor auftreiben konnten, werden von den bürokratischen Hürden und dem personellen Aufwand abgeschreckt. Praktisch muss ein Lehrer vollständig für die Betreuung und „Buchhaltung“ des Labors abgestellt werden. Einen externen BBS z.B. aus einer benachbarten Universität zu finden, ist auch nicht leicht.
So manches Sicherheitslabor an Schulen stirbt nach kurzer Zeit ab: die Lehrkräfte sind derart mit der Bürokratie beschäftigt, dass sie keine Zeit mehr für die Experimente haben!

Wie kann man die Probleme lösen?

Die längst überfällige Revision des Gentechnikgesetzes muss weiter angestrebt werden. Das gilt nicht nur für die grüne Gentechnik, die gerade in der EU zur Diskussion steht. Auch eine Lockerung der Sicherheitsstufe 1 ist dringend erforderlich – nicht nur für Forschung und Entwicklung, sondern auch für Schulen, die in einem Wust von Bürokratie ersticken. Mehrere Versuche vieler Fachverbände, Organisationen und der Industrie und auch von unserem Vorgänger Science Bridge, sind bisher erbarmungslos gescheitert. Obwohl auch die ZKBS, eine fachliche Beratungsstelle der Regierung, eine Lockerung grundsätzlich befürwortet hat.
Es ist notwendig, sich weiter dafür einzusetzen wie z.B. hier.

Erschreckend ist es, dass die Politik eher den Aktivisten von NGOs und anderen Gentechnik-feindlichen Organisationen Gehör schenkt, als den Fachleuten der Wissenschaft wie z.B. der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Selbst der Bericht des BMBF zur Gentechnik-Sicherheitsforschung findet relativ wenig Beachtung. Die Politik sollte der Wissenschaft und den eigenen fachkundigen Beratergremien mehr Aufmerksamkeit schenken.

Beides würde jedoch bestenfalls langfristig Wirkung zeigen. Kurz- und mittelfristig müssen Schulen mit der gegebenen Situation leben und das Beste daraus machen.

Was sollten/können Schulen jetzt tun?

Wenn in erreichbarer Nähe gute Schülerlabore mit ausreichenden Kapazitäten vorhanden sind, sollten diese genutzt werden. Eine realistische Kalkulation wird zeigen, dass der zeitliche, personelle und finanzielle Aufwand deutlich geringer ist, als ein eigenes Labor aufzubauen und zu betreiben. Allerdings gibt es auch unter den etablierten Schülerlaboren nur wenige, die CRISPR-Cas Experimente anbieten. Neben ein paar anderen Einrichtungen haben das Gläserne Labor Berlin und das Vienna Open Lab unser Experiment übernommen und bieten es regelmäßig an. Am Uni-Klinikum Regensburg wird das Experiment zurzeit aufgebaut.

Außerhalb der Ballungszentren sind oft keine Schülerlabore erreichbar. Hier wäre es sehr sinnvoll und effizient, wenn mehrere Schulen gemeinsam ein S1 Labor aufbauen und betreiben. Das würde die recht hohen Investitionen und den Verwaltungsaufwand auf mehrere Schultern verteilen.
Die Kapazitäten eines S1-Labors an einzelnen Schulen werden meistens nicht ausgenutzt – ein gemeinsames Labor wäre da deutlich effektiver. Das gilt auch für die Verbrauchsmittel. Wenn einmal im Jahr der Leistungskurs „durch ist“, ist man im nächsten Jahr nicht mehr sicher, ob alle Chemikalien und Enzyme noch funktionieren – und bestellt lieber neu.
Mit ein oder zwei Kursen im Jahr fehlt dem Lehrpersonal auch die Routine. Je mehr Kurse angeboten werden, umso sicherer werden die Lehrer und umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Experiment „schief geht“.

Schulen, die sich ein S1-Labor teilen, haben viele Vorteile.
(Bild: BioWissKomm, Einzelbilder: Pixabay, Science Bridge, Midjourney)

BioWissKomm ist gerne bereit, beim ersten CRISPR-Experiment (und bei anderen) zu helfen und das Lehrpersonal bei Bedarf fortzubilden.
Durch eine Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft können wir das zurzeit recht kostengünstig anbieten. Unser CRISPR-Experiment wird unter dem Namen „Knock-out“ von der amerikanischen Firma miniPCR vertrieben und BioWissKomm kann das Kit im deutschsprachigen Raum zu einem günstigen Preis anbieten.
Anfragen gerne unter info@biowisskomm.de.

Kurs im gemeinsamen S1-Labor des Pestalozzi- und Wieland-Gymnasiums in Biberach/Riß. Der Schülerkurs ist gleichzeitig Teil der Lehrerfortbildung durch BioWissKomm Mitarbeiter.

Titelbild:
So mag man sich die Arbeit in einem Sicherheitslabor vorstellen – so, oder eher noch sicherer, sieht es in einem Labor der Sicherheitsstufe 4 aus. Dort wird mit hoch-pathogenen Viren wie Ebola gearbeitet. Das einzige Hochsicherheitslabor dieser Art in Deutschland steht in Marburg.
In einem S1-Labor braucht man weder Schleuse noch Vollanzug mit Atemmaske.
(Bild: BioWissKomm by Midjourney).

Autor: W. Nellen, BioWissKomm


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